Zur aktuell laufenden Bundestagsdebatte über das sogenannte "Zustrombegrenzungsgesetz" hat Dr. Dietmar Kehlbreier, Diakoniepfarrer und Geschäftsführer der Diakonie im Kirchenkreis Recklinghausen, anliegende Stellungnahme veröffentlicht.
Wenn Extremisten meiner Politik zustimmen, dann stimmen nicht nur die Falschen zu. Dann dürfte auch meine Politik falsch sein…
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sucht Mehrheiten jenseits der selbsternannten Brandmauer – ein Tabubruch im deutschen Parlamentarismus trotz des massiven Widerstandes anderer demokratischer Parteien, der großen christlichen Kirchen, der Wohlfahrtsverbände und weiterer gesellschaftlicher Kräfte. Und: Ohne jede Umsetzungschance in Bundestag und Bundesrat.
Dieses politische Agieren schadet der Sache:
- Wir brauchen nach Anschlägen wie in Aschaffenburg eine ernsthafte Debatte über Migration und innere Sicherheit. Migrationspolitische Schnellschüsse lösen kein Problem. Sie verstärken eher Ängste in der Bevölkerung.
- Grenzen in der geplanten Form zu schließen, verstößt höchstwahrscheinlich gegen Europarecht und das Grundgesetz. Es gibt bereits massive Ausweitungen der Grenzsicherung.
- Eine fehlende Differenzierung von Asyl- und Einwanderungspolitik verschließt die Augen vor dringend benötigtem Zuzug ausländischer Arbeitskräfte.
- Einschränkungen beim Familiennachzug erschweren eher die Integration.
- Ein Gesetz gegen den „Zustrom“ von Geflüchteten nimmt leider schon begrifflich eine rechtsextreme Sprachfigur auf.
Dieses politische Agieren schadet der Demokratie:
- Extreme Kräfte werden mit ihren Positionen hoffähiger.
- Das Vertrauen der gesellschaftlichen Mitte in die Lösungsfähigkeit der Politik geht weiter verloren.
- Über den Wahlkampf hinausgedacht werden Kompromiss- und Koalitionsbereitschaft unter Demokrat*innen unnötig erschwert.
Dieses politische Agieren verhindert, dass andere Themen zum Zug kommen:
Ja, Wahlkampf spitzt zu und Migration ist ein wichtiges Thema. Migration ist oft eingebettet in andere Herausforderungen, über die eine Bundestagswahl auch entscheidet und die es wert sind, diskutiert zu werden:
- Wir haben Krieg in Europa, der unsere liberale Demokratie und die weltweite Sicherheitsarchitektur gefährdet.
- Wir haben unsere Pflege- und Krankenversorgung vor dem Hintergrund des demographischen Wandels solidarisch abzusichern.
- Wir müssen den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken durch gute gleichwerte Bildungschancen, Teilhabe am Arbeitsleben und Förderung des Ehrenamtes.
- Wir brauchen technologische Innovationen, mit denen wir den Energiehunger von Industrie, Mobilität und Künstlicher Intelligenz ressourcenschonend stillen.
- Wir benötigen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft mit verlässlichen Rahmenbedingungen und weltweiten Absatzmärkten möglichst ohne Zollschranken.
Nicht erst seit 2015 steht die Diakonie im Kirchenkreis Recklinghausen an der Seite von Menschen, die zu uns geflüchtet sind. In den letzten Tagen haben wir zusammen mit dem Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen eine Familie aus dem Südsudan in Herten aufgenommen. Im NesT-Programm („Neustart im Team“ – ein Projekt von Bundesregierung, evangelischer Kirche und Wohlfahrtsverbänden) wird diese Familie eng begleitet beim Ankommen in Deutschland. Mit im Team: ein eritreischer Diakonie-Mitarbeiter.
Wir begleiten migrantische minderjährige Jugendliche durch die Ambulante Jugendhilfe Recklinghausen. Gemeinsam mit Caritas und AWO arbeiten wir seit Jahren im Haus der Kulturen für die Integration und die Beratung von Geflüchteten. Wir sind im Sozialraum aktiv mit den Integrationsagenturen in Marl und Herten und Quartiersprojekten, z.B. in Waltrop.
- Die Erfolge unserer diakonischen Migrationsarbeit können sich sehen lassen.
- Unsere Migrationsarbeit bedarf politischer und gesellschaftlicher Unterstützung.
- Menschen in Not zu helfen, ist Ausdruck christlicher Nächstenliebe und ein Menschenrecht. Dies darf politisch niemals zur Disposition gestellt werden.
Stellungnahme Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch: https://www.diakonie.de/informieren/infothek/2025/januar/keine-migrationspolitischen-schnellschuesse-vor-der-bundestagswahl
Stellungnahme Vorstand Diakonie RWL, Kirsten Schwenke https://www.diakonie-rwl.de/themen/diakonische-identitaet/statement-den-abstimmungen-deutschen-bundestag
Gemeinsame Stellungnahme der Kirchen zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ https://www.ekd.de/oekumenische-stellungnahme-zustrombegrenzungsgesetz-88221.htm
Elper Weg 89
45657 Recklinghausen
www.diakonie-kreis-re.de